Tag: Gothik
In einer alten, verfallenen Werkstatt am Rande eines finsteren Waldes lebten vier Puppen, die nur unter der Dunkelheit des Mondes zum Leben erwachten. Sie waren keine gewöhnlichen Puppen, sondern Werke eines vergessenen Puppenmachers, der ihnen ein Stück seiner Seele eingehaucht hatte. Ihre Namen waren Tuuli, Jari, Mika und Sami, und jede von ihnen trug eine einzigartige, düstere Aura in sich.
Die Werkstatt war ihr Zuhause, ein Ort voller staubiger Regale, zerbrochener Uhren und rostiger Werkzeuge. Auf einem Tisch lag eine alte Spieluhr, deren Melodie die Puppen jede Nacht weckte. Der Mondschein, der durch ein zerbrochenes Fenster fiel, verlieh ihren porzellanartigen Gesichtern ein unheimliches Leuchten.
Tuuli, die Anführerin, trug ein verblichenes, rotes Kleid, das einst prachtvoll gewesen sein musste. Ihr weißes, zerzaustes Haar wirkte wie das Gespinst einer Spinne, und ihre großen, schwarzen Augen schienen tief in die Seele zu blicken. Sie war die Hüterin der Geheimnisse, deren Stimme leise, aber durchdringend war.
Jari, der Skeptische, trug einen zerschlissenen schwarzen Mantel, dessen Fransen wie Schatten hinter ihm her wehten. Sein Gesicht war schmal, mit einem Riss quer über seinen Mund, der wie ein grimmiges Lächeln wirkte. Seine Augen, unruhig und wachsam, suchten ständig die Dunkelheit ab.
Mika, der Bastler, war eine dürr wirkende Puppe mit einem kurzen, abgetragenen Hemd und einer Hose, deren Taschen voller Nadeln und Fäden waren. Sein zerzaustes Haar stand wie ein Heiligenschein aus Schatten um seinen Kopf, und er hatte ein Gespür dafür, alles zu reparieren, was zerbrochen war.
Sami, der Stillste, trug einen langen, dunklen Mantel, dessen abgenutzte Knöpfe wie Augen funkelten. Sein Kopf war leicht geneigt, und sein bleiches Gesicht war von einer leisen Melancholie gezeichnet. Er sprach kaum, aber wenn er es tat, hallten seine Worte wie eine Prophezeiung nach.
Eines Nachts, als der Wind durch die Ritzen der Werkstatt heulte, hörten die Puppen ein leises Klopfen an der Tür. Es war unmöglich, denn kein Mensch hatte seit Jahrzehnten diesen Ort betreten.
Tuuli öffnete vorsichtig die Tür, und ein kalter Hauch wehte herein. Vor der Schwelle lag eine kleine, hölzerne Kiste. Jari hob sie mit seinen filigranen Händen auf den Tisch, und Mika öffnete den Deckel mit einem zittrigen Griff. In der Kiste lag eine einzelne, zerbrochene Puppe. Ihr Gesicht war leer, ohne Augen oder Mund, aber ihr Körper war aus dem gleichen Material wie sie selbst.
"Wer hat sie gebracht?" flüsterte Mika und untersuchte die Kiste mit seinen geschickten Händen.
"Vielleicht... sie gehört zu uns," murmelte Sami und blickte zum Mond, als ob er die Antwort dort suchen würde.
Tuuli legte ihre Hand auf die zerbrochene Puppe und spürte einen schwachen Puls, ein leises Echo einer Seele. "Wir müssen sie wiederherstellen," entschied sie. "Sie ist wie wir."
Die Puppen arbeiteten die ganze Nacht, nähten, klebten und flickten, bis die Fremde wieder ganz war. Als der erste Lichtstrahl der Morgendämmerung durch das Fenster fiel, flüsterte Tuuli ein letztes Wort: "Willkommen."
Die neue Puppe öffnete ihre Augen, und ein Hauch von Leben kehrte in sie zurück. Aber in ihrem Blick lag ein Geheimnis, das die Puppen erst verstehen sollten, wenn die nächste Nacht hereinbrach...
Und so lebten sie weiter, als Wächter der Dunkelheit, verbunden durch eine unsichtbare Bindung, die stärker war als jede Nadel und jeder Faden.
Anne Seltmann 04.01.2025, 06.59 | (2/2) Kommentare (RSS) | TB | PL