Ausgewählter Beitrag

4. Advent

[Bild KI generiert / Text © Anne Seltmann]



Die Rettung des verlorenen Kätzchens

Ein besonders stürmischer Winterabend hatte ein kleines Kätzchen auf den Deich getrieben. Die Wellen schlugen hoch, der Wind peitschte durch das Fell des Tieres, und es miaute verzweifelt in der kalten Nacht. Die Nordsee-Weihnachtsschafe, die gerade von ihrem nächtlichen Rundgang zurückkehrten, spürten sofort die Not des kleinen Wesens. Mit leisen Glöckchen und vorsichtigen Schritten näherten sie sich dem Kätzchen. Ein Schaf drängte das Tier behutsam mit der Nase auf seinen Rücken, während die anderen einen schützenden Halbkreis bildeten, sodass kein Windstoß oder Sandkorn das Kätzchen verletzen konnte. Langsam, Schritt für Schritt, führten die Schafe das Tier durch die Dünen, die Wellen hinter sich lassend, die Laternen in ihren Hörnern wie Leuchtfeuer der Sicherheit. Schließlich erreichten sie ein warmes, kleines Haus am Rande des Dorfes. Die Türen öffneten sich fast von selbst, als hätten die Schafe und das Kätzchen diesen Weg schon oft gegangen. Drinnen wartete ein Korb mit Decken, und das Kätzchen schlüpfte hinein, schnurrend, zufrieden und sicher. Draußen verschwand die Schafherde leise in der Dunkelheit, so unauffällig wie sie gekommen waren.

Am nächsten Morgen lag ein feiner Schleier aus Reif über dem Dorf. Das Kätzchen erwachte im warmen Korb, streckte vorsichtig die Pfoten aus und lauschte. Kein Heulen des Windes mehr, kein Donnern der Wellen – nur das leise Knistern des Ofens und entfernte Kirchenglocken, die den Weihnachtstag begrüßten. Die Menschen im Haus bemerkten das kleine Wesen erst, als es zaghaft aus dem Korb kletterte. Verwundert, aber voller Freude nahmen sie es auf, trockneten sein Fell und gaben ihm warme Milch. Niemand wusste, woher es gekommen war, doch alle spürten, dass diese Begegnung kein Zufall war. Man nannte es "Deichstern", nach dem Licht, das es sicher durch die Nacht geführt hatte.

In den folgenden Tagen erzählten sich die Dorfbewohner leise Geschichten. Einige meinten, sie hätten in jener Nacht Schafe mit sanft leuchtenden Laternen gesehen. Andere schworen, sie hätten Glöckchen gehört, obwohl weit und breit keine Herde unterwegs war. Die Kinder lauschten mit großen Augen, und selbst die Alten nickten wissend. Und irgendwo draußen, zwischen Deich und Dünen, standen die Nordsee-Weihnachtsschafe noch einmal still beisammen. Der Wind strich sanfter über ihr Fell, der Himmel war klar, und ein paar Sterne funkelten heller als sonst. Ihre Aufgabe war erfüllt. Wieder einmal hatten sie gezeigt, dass in den dunkelsten Nächten Mitgefühl, Zusammenhalt und ein wenig Magie den Weg weisen können.

So blieb diese Geschichte im Dorf lebendig – als Erinnerung daran, dass niemand zu klein ist, um gerettet zu werden, und niemand allein, solange es Wesen gibt, die hinschauen und helfen. Besonders in der stillen Zeit des Winters, wenn Hoffnung leise kommt, wie Schritte im Schnee.




© Anne Seltmann



Anne Seltmann 21.12.2025, 00.00

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