Juli 2024
Der Engel und seine Federn
Es war einmal ein Engel, der hatte große und wunderschöne Flügel. So
weiß, wie die Federn eines Schwans und so strahlend hell, wie die
Sonne. Dieser Engel machte sich auf den Weg zur Erde. Es war sein
erster Flug dorthin und so war er sehr aufgeregt.
Als er nun
über die Erde flog und all die schönen Dinge bestaunte, die Gott
geschaffen hatte, fiel ihm ein Mensch auf, der in seine Richtung
blickte. Von dieser Seltenheit angezogen- hatte er doch im Himmel
gelernt, dass nur sehr wenige Menschen Engel sehen konnten- stellte er
sich vor den Menschen und fragte: "Du kannst mich sehen?" "Ja, Dich
kann ich sehen, auch wenn die Welt für mich immer gleich aussieht." Der
Mann zeigte auf seine Augen. Er war blind. "Wie geht es dir dabei, wenn
die Welt immer gleich aussieht?" " Manchmal wünsche ich mir nichts
mehr, als sie mit meinen eigenen Augen sehen zu können." Da schenkte
der Engel ihm eine seiner Federn und sagte: " Sie wird dich sehen
lassen."
Auf seinem weiteren Weg, bemerkte er einen Menschen,
der ihn zu hören schien. Von dieser Seltenheit angezogen - hatte er
doch im Himmel gelernt, dass nur sehr wenige Menschen Engel hören
konnten- stellte er sich vor den Menschen und fragte: "Du kannst mich
hören?" "Ja, dich kann ich hören, auch wenn die Welt für mich immer
still ist." Die Frau zeigte auf ihre Ohren. Sie war taub. "Wie geht es
dir dabei, wenn sie immer nur still ist?" "Manchmal wünsche ich mir
nichts sehnlicher, als sie mit meinen eigenen Ohren hören zu können."
Da schenkte der Engel auch ihr eine seiner Federn und sagte: "Sie wird
dich hören lassen."
Als er nun weiter flog, sah er einen
Menschen, der seine Anwesenheit zu spüren schien. Von dieser Seltenheit
angezogen- hatte er doch im Himmel gelernt, dass nur sehr wenige
Menschen Engel spüren konnten- stellte er sich vor den Menschen und
fragte: "Du kannst mich spüren?" "Ja, Dich kann ich spüren, auch wenn
die Welt meinem Körper keine Wärme gibt." Der Mann deutete mit seinem
Kopf an sich hinunter, sein Körper saß in einem Rollstuhl. Er war
gelähmt von seinem Hals ab. "Wie geht es dir dabei, wenn die Welt
deinem Körper keine Wärme gibt?" "Manchmal wünsche ich mir so sehr, die
Sonnenstrahlen auf meinem Körper fühlen zu können und herumzutanzen bis
mir meine Füße wehtun." Da schenkte der Engel auch ihm eine seiner
Federn und sagte: " Sie wird dich spüren und tanzen lassen."
Der
Engel flog über die ganze Welt und traf sehr viele Menschen, denen er
eine seiner Federn schenkte. Menschen, die von einer Krankheit befallen
waren, Menschen denen es nicht gut ging.
Eines Tages, als er
dann ein kleines Mädchen traf, das blind war und alleine am Straßenrand
saß, wollte er ihr eine Feder schenken. Doch er musste feststellen,
dass er nur noch eine Einzige besaß und seine Flügel verschwunden
waren. Traurig setzte er sich neben das Mädchen und schenkte ihr seine
letzte Feder.
"Wie komme ich denn jetzt noch in den Himmel? Wie kann ich denn jetzt Gott noch nahe sein?" , dachte er traurig.
Aber
als sich die Augen des Mädchens öffneten und sie die Farben der Welt
sah, strahlte sie heller, als die Flügel des Engels es je getan hatten.
Ihr ganzer Körper lachte, strahlte und freute sich über jede einzelne
Farbe, jeder einzelne Gegenstand, den sie begutachtete. Sie tollte auf
den grünen Wiesen, schaute sich jede einzelne Blume an, sodass ihr ja
keine Farbe entging und genoss es sehen zu können. Und plötzlich stand
sie wieder vor dem Engel und sagte leise und nachdenklich: "Wieso hast
du mir deine letzte Feder geschenkt, obwohl du jetzt nicht mehr zurück
in den Himmel kannst?"
Da lächelte der Engel, denn ihm war etwas
klar geworden, als er die Freude des Mädchens gesehen hatte: "Weißt
du," sagte er, " dein strahlendes Gesicht hat mich Gott näher gebracht,
als all die Jahre im Himmel."
Und ihm war klar geworden, dass ein Engel keine Flügel besitzen und im Himmel leben musste um ein Engel zu sein.
Zwar
nur selten können Menschen Engel sehen, hören oder spüren, aber öfter
und was viel wichtiger ist: Können Menschen Engel sein, für die
Menschen, denen sie etwas Gutes tun. Und macht nicht gerade diese
Eigenschaft einen Engel aus?
Hand in Hand mit dem Mädchen ging er die Straße entlang, kein Engel mehr nach dem Aussehen, sondern ein Mensch.
Ein Mensch mit dem Herzen eines Engels.
[Verfasser unbekannt]